Die Seele pflegen – kostbare Momente schätzen

08.10.2021

Psychoonkologin Andreea Klass beantwortet Fragen zum Welttag der seelischen Gesundheit 

Was macht für Sie seelische Gesundheit aus?
Wenn wir über die Gesundheit der Psyche sprechen, dann assoziieren wir damit meist psychische Störungen, die einer Behandlung bedürfen. Dieser reduzierte Blickwinkel wird der seelischen Gesundheit eines Menschen jedoch nicht gerecht. Für mich als Psychologin im akut medizinischen Bereich ist die psychologische Begleitung und Behandlung von Menschen in emotionalen Krisen primär. Dabei kann eine psychische Vorerkrankung bestehen, das muss aber nicht unbedingt sein. So gesehen ist die seelische Gesundheit eher eine Frage des Wohlbefindens und der emotionalen Stabilität. Diese zu fördern, sind die Ziele unserer alltäglichen Arbeit als Psychoonkologinnen.

Welche Rolle spielt das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele?
„Was ist der Mensch?“, das ist einer der viel diskutierten philosophischen Grundsatzfragen. Wenn wir den Spuren dieser Frage folgen, dann kommen wir sicher nicht an Geist und Seele vorbei. Der Mensch besteht aus Fleisch und Knochen (Körper) aber eben auch aus Geist und Seele. Der Geist steht für kognitiven Vorgänge. Der Verstand (das Denken) braucht der Mensch, um sich überhaupt gedanklich zu sortieren, Informationen zu verarbeiten und Probleme zu lösen. 

Gibt es Schutz- und Risikofaktoren?
Die psychologische Begleitung ist ein Muss, gerade wenn die körperliche Erkrankung psychisches Leid verursacht. Herr Doktor Weyland, damals mein Dozent für die psychoonkologische Ausbildung, beschreibt das mit zwei Worten: „Krankheit kränkt“. Ja, Kranksein kränkt. Es geht darum, die Auswirkungen einer Krankheit auf das seelische Gleichgewicht bewusst wahrzunehmen. Deshalb sage ich zuversichtlich: wo seelisches Wohlbefinden ist, da ist auch Gleichgewicht möglich.  Es muss nicht sein, dass der erkrankte Körper die Seele zwangsweise kränkt. Wenn das jedoch der Fall ist, dann hilft sicherlich nur eines: das seelische Wohlbefinden zu erhöhen in der Hoffnung, dass es einen positiven Einfluss auf den erkrankten Körper haben wird.

Eine besondere Strategie ist es, den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit zu betrachten und als solchen zu verstehen. Er ist nicht nur der Kranke, der hier im Krankenhaus gerade liegt, sondern viel - sehr viel mehr. Sie kann eine Mama oder ein Papa sein, eine Oma, Tante, Schulfreundin, Partner oder Arbeitskollegin. Er kann ein passionierter Wanderer oder die weltbeste Kuchenbäckerin sein. Der Patient bringt Lebenserfahrung und Weisheit mit sich. Er ist klug und ungeduldig, aber auch traurig und ängstlich. All das gehört zum Menschsein dazu. Es ist das, was uns miteinander verbindet. Und so schauen wir in unserer Arbeit auf das, was ist und wir fördern nur das, was geht. Die ganzheitliche Behandlung ist eine wahre Betreuung, in der sich die medizinischen Berufsgruppen und die Patientin auf Augenhöhe begegnen und sie sich ihre Kompetenzen gegenseitig anerkennen. Nur auf diese Weise kann seelische Gesundheit erhalten und mitbehandelt werden. Als Psychoonkologen liegt es gerade in unserer Verantwortung, die Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren. 

Wie kann man Risikofaktoren vorbeugen?
„Mens sana in corpore sano“ – diese Redewendung, die meiner Meinung nach vom Sportjargon etwas ausgenutzt wurde, steckt eine wahre Geschichte: der Mensch braucht eine gewisse Körperkraft und Energie, um sich psychisch gesund zu fühlen. Zum Glück liefert uns hier in Niederbayern die Natur vor unseren Haustüren den Schlüssel dazu! Wir sind Teil der Natur und niemand kann uns so gut helfen wie die Natur selbst. Ich verschreibe es gerne auf Rezept: 15 Minuten täglich „Waldbaden“. Lassen Sie Ihre Seele von den frischen Gerüchen und den Klängen der Natur streicheln. Bleiben Sie in Gedanken bei dem, was sie in diesem kostbaren Moment tun, was gerade ist. Beobachten Sie den Waldboden, berühren sie ihn wie eine Forscherin. Was nehmen sie wahr? Merken sie sich das! Nach einer gewissen Zeit kann dies eine Art Therapie werden, eine wunderbare Selbsttherapie, die immer und überall anwendbar ist. 

Wie kann Kreativität der seelischen Gesundheit zu Gute kommen?
Viele von Ihnen verbinden das Wort kreativ mit Basteln oder Malen. Vielleicht ist das etwas, was wir als Kinder ungern gemacht haben, weil es uns in der Schule vorgeschrieben wurde. Ich nutze die Kreativität in meiner Arbeit sehr gerne als Prozess der Schöpfung, der Veränderung oder der Neugestaltung. Kreativität kann eine Ressource sein, die mich als Mensch über den Tellerrand blicken lässt, meinen Horizont erweitert und mein Bewusstsein stärkt. Kreativsein stellt nicht anderes dar, als sich in bislang unbekannten Facetten zu entdecken, bis dahin sich mutig neu zu definieren. Denn wir bleiben nicht der Eine, der wir vor 10 Jahren waren. Unsere Ansichten bleiben das manchmal schon. Wenn wir uns selbst jedoch gestalterisch begegnen, dann verändern wir auch unsere Ansichten und verstehen mehr darüber, was und wer wir heute sind. Blockaden unserer Kreativität konfrontieren uns damit, was uns Angst bereitet, wo wir Leistungsdruck, Stress, Perfektionismus, gesellschaftlichen Druck spüren. Das heißt, sich der Kunst und einer ungehemmten Kreativität zu widmen, kann einen sanften Weg aus dem inneren Käfig bahnen. 

Was wäre Ihr Geheimtipp zur Steigerung der seelischen Gesundheit?
Hier eine kleine Anregung, um unseren Horizont zu erweitern: Lassen Sie Spontanität zu, setzen Sie sie bewusst ein und pflegen Sie ihre Spontanität wie einen Garten! Vielleicht wollen Sie heute darauf achten, ob sich in ihren Gedanken auch ein Platz für Neues findet, für Schöpferisches, das leichtfüßig und ohne Druck entsteht? Vielleicht schlummert irgendwo ein altes Hobby, das Sie wiederbeleben möchten, eine Entspannungsmöglichkeit, bis hin zur Gedankenfreiheit? Heute zum Tag der seelischen Gesundheit schenke ich Ihnen eine Frage: „Wie geht es mir?“. Die ehrliche Antwort darauf kann ein heilsamer Einstieg auf Ihrem Weg zu seelischem Wohlbefinden sein.